es besteht eine konvergenz zwischen kleinheit und essbarkeit: die dinge sind klein nur,
um gegessen zu werden; aber sie sind auch essbar, damit sie ihr wesen verwirklichen,
und dies wesen ist die kleinheit.
der einklang zwischen der östlichen nahrung und dem stäbchen kann nicht bloss funktioneller, instrumenteller natur sein. die lebensmittel werden in kleine stücke geschnitten, damir man sie mit den stäbchen fassen kann; aber die stäbchen sind auch deshalb da, weil die lebensmittel in kleine stücke geschnitten sind.
ein und dieselbe bewegung, ein und dieselbe form transzendieren hier den stoff und dessen werkzeug: die zerteilung: …
das stäbchen ist das essinstrument, das sich weigert zu schneiden, zu reissen, zu verstümmeln und zu stechen (sämtlich höchst begrenzte gebärden, die in den bereich der zubereitung, in die küche zurückgedrängt sind: der fischkoch, der den lebenden aal vor unseren augen enthäutet, exorziert in einem vorgängigen opfer ein für allemal den tod der nahrung).
mit den stäbchen ist die nahrung nicht länger beute, der man gewalt antut (fleisch, auf das man sich wild stürzt), sondern eine harmonisch verwandelte substanz. sie verwandeln den im voraus zerteilten stoff in vogelfutter und den reis in einen milchstrom;
mütterlich vollführen sie unermüdlich die gebärde des fütterns und überlassen unseren mit messer und gabel bewehrten esssitten die gebärde des beutemachens.
… die rohe speise ist bekanntlich die schutzgöttin der japanischen nahrung: alles ist ihr geweiht, und wenn die japanische küche sich stets vor dem essenden abspielt (das grundmerkmal dieser küche), so vielleicht, weil es gilt, durch das schauspiel den tod dessen, den man feiert, zu heiligen.
was da in der rohen nahrung (crudite, ein ausdruck den wir seltsamerweise im singular verwenden, um die sexualität der sprache zu bezeichnen, und im plural, um den äusseren, anormalen und leicht tabuisierten teil unser speisen zu verwenden) geehrt wird, ist offenbar nicht, wie bei uns, ein inneres wesen des lebensmittels, das blut (symbol der kraft des todes), aus dem wir durch transmigration die lebensenergie beziehen (bei uns stellt das rohe einen kraftvollen zustand dar, wie es auf metonyme weise etwa im würzen von tatar zum ausdruck kommt).
die japanische rohkost ist wesentlich visueller natur; sie bezeichnet einen gewissen farbzustand von fleisch und pflanzlicher nahrung (wobei die farbe sich niemals in einem katalog von tönen erschöpft, sondern auf ein ganzes spektrum von taktilen qualitäten des stoffes verweist;
so breitet sashimi weniger ein spektrum von farben aus als eines von widerständen: jener widerstände, die das rohe fischfleisch über die platte variieren lassen, indem sie es die stationen des schlaffen, des faserigen, des harten und des glatten durchlaufen lassen).
gänzlich visuellen charakters (für den blick gedacht, zusammengestellt und bearbeitet, ja für den blick eines malers oder zeichners), sagt die nahrung, dass sie nicht tiefgründig ist: die essbare substanz besitzt kein kostbares herz, keine verborgene kraft, kein lebengeheimnis: keine japanische speise hat ein zentrum (ein speisezentrum, wie es unser ritus mit sich bringt, der die mahlzeit in ihrem ablauf zu ordnen und die gerichte einzurahmen und mit überzügen zu versehen sucht); alles ist hier verzierung einer weiteren verzierung: zunächst weil die speise auf dem tisch oder auf einer platte niemals mehr als eine ansammlung von fragmenten darstellt, von denen keines durch eine ordnung des verzehrs privilegiert scheint: speisen heisst nicht ein menü, eine speisefolge einzuhalten, sondern mit einer leichten berührung der stäbchen bald hier, bald dort eine farbe aufzunehmen, ganz so als folge man einer eingebung, die in ihrer langsamkeit wie eine abgehobene, indirekte begleitung zu einer konversation erscheint (welche ihrerseits äusserst schweigsam sein kann). …
der koch (der überhaupt nichts kocht) nimmt einen lebenden aal, sticht ihm mit einer langen nadel in den kopf und häutet ihn. diese kurze, nasse (mehr als blutige), von einer kleinen grausamkeit erfüllten szene endet in einem spitzenwerk. der aal (das stückchen gemüse oder schalentier), in der pfanne kristallisiert wie ein salzburger kreppel, reduziert sich auf einen kleinen block leere, auf eine ansammlung von licht: die speise findet hier mit dem traum eines paradoxes zusammen: dem eines gegenstandes, der reiner zwischenraum ist und der umso provokativer wirkt, als die leere eigens dazu hergestellt ist, das man sich von ihr ernährt (gelegentlich gibt man der speise kugelgestalt, wie einer luftblase).
die tempura ist frei von jeder bedeutung, die wir gewöhnlich dem gebratenen beilegen: der schwere. das mehl findet hier zu seinem wesen, der verstreuten blume zurück; es ist so fein verteilt, dass es wie milch wirkt und nichr länger als brei erscheint. vom öl ergriffen, ist diese goldene milch von so geringer dichte, dass sie die speisestücke nur unvollkommen überzieht und das rosa einer garnele, das grün der pfefferschote oder das braun der aubergine durchscheinen lässt.
so nimmt man dem gebratenen, was für unser pfannengebackenes charakteristisch ist: die kruste, die hülle, die festigkeit.
… wir müssen in der tat auf jenen jungen künstler zurückkommen, der aus fisch und pfefferschoten spitzenwerk herstellt. wenn er unsere speise vor uns zubereitet und den aal von handgriff zu handgriff, von ort zu ort aus dem bassin in die weisse papierserviette überführt, die ihn am ende als durchbrochenes spitzenwerk aufnehmen wird, so geschieht das nicht (allein), um uns zu zeugen der hohen präzision und reinheit seiner kochkunst zu machen, sondern weil seine tätigkeit buchstäblich graphischen charakter hat: er schreibt speise in den stoff ein.
aus „das reich der zeichen“ – von roland barthes …